Christian Friedrich Kemmner war der Bruder meines Urgroßvaters. Er wurde am 30.07.1874 in Unterensingen als erster von fünf Söhnen von Matthäus und Fredericke Kemmner geboren (Evangelische Kirche Unterensingen, 1874). Drei Tage später, am 02.08.1874 wurde er im selben Ort getauft (Evangelische Kirche Unterensingen, 1874). Unterensingen ist ein beschauliches Örtchen südlich von Stuttgart und zählte zur damaligen Zeit etwa 800 Einwohner (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg,1871).
Als ältester Sohn der Bauernfamilie musste Christian bestimmt kräftig mitarbeiten, damit die Familie die landwirtschaftlichen Aufgaben bewältigen konnte. Christian besuchte sicherlich die örtliche Schule in Unterensingen. Am 22. April 1888 wurde Christian mit 17 weiteren Kindern konfirmiert (Evangelische Kirche Unterensingen, 1888), womit traditionell die Schulzeit endete (Kemmner, 2019). Er hat dann den Beruf des Metzgers erlernt (Evangelische Kirche Eglosheim, 1906).
Mit 32 Jahren heiratete Christian am 25.10.1906 Emma Schoen in Geisselhardt, das etwa 50 km nördlich von Unterensingen liegt (Evangelische Kirche Eglosheim, 1906).
Das Heiratsregister verrät, dass Christian als Metzger in Backnang lebte, während Emma Haustochter in Steinbrück war (Evangelische Kirche Geißelhardt, 1906). Als Haustochter bezeichnete man damals junge Frauen, die für eine bestimmte Zeit bei einer fremden Familie lebten um dort die Haushaltsführung zu erlernen (Duden, 2020). Aus dem Register geht auch hervor, dass die Proklamation der Ehe, die Einsprüche gegen die Ehe ermöglichen soll, am 21. Oktober durchgeführt wurde, vier Tage vor ihrer Hochzeit (Evangelische Kirche Geißelhardt, 1906). Am 25. Oktober 1906 fand dann sowohl die kirchliche Trauung, als auch die bürgerliche Eheschließung statt (Evangelische Kirche Geißelhardt, 1906). Statt einer Angabe, wo das Familienregister zu finden ist, wurde geschrieben: "Nach Backnang übergeben", wo die beiden vermutlich lebten (Evangelische Kirche Geißelhardt, 1906).
Seine Frau Emma wurde am 16.05.1879 in Steinbrück geboren und drei Wochen später in Geisselhardt getauft (Evangelische Kirche Forchtenberg, 1879). Emmas Eltern Karl und Karoline Pauline Schön hatten sechs weitere Kinder (Evangelische Kirche Forchtenberg, 1875). Leider starb Emmas Mutter Karoline bereits 1885 (Evangelische Kirche Forchtenberg, 1885), nur wenige Tage vor Emmas sechstem Geburtstag. Emmas Vater Karl hat einem Trauerjahr wieder geheiratet und weitere elf Kinder bekommen (Evangelische Kirche Forchtenberg, 1875). Die 18 Kinder waren in einer Zeitspanne von 23 Jahren geboren (Evangelische Kirche Forchtenberg, 1875).
Etwa ein Jahr nach ihrer Hochzeit reiste das junge Ehepaar in die USA (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907).
Christian und Emma gaben an, zuletzt in Backnang gewohnt zu haben (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907), einem kleinen Ort in Baden-Württemberg, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Stuttgart, in dem zur damaligen Zeit etwas weniger als 8.000 Einwohner lebten (Volkszählungsergebnisse 1900; 1910). Backnang war damals geprägt von Gerbereien (Stadt Backnang, o. J.). Ich nehme an als Metzger hatte Christian dort gute Erwerbsmöglichkeiten.
Am 19. November 1907 bestiegen sie in Bremen das Schiff „Kronprinz Wilhelm“ (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907), einem damals sehr modernen, schnellen und luxuriösen Schiff (Griesinger, o. J.). Mit ihnen an Bord waren 917 weitere Passagiere (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907).
Die Tickets für die Überfahrt nach Amerika hatte laut Passagierliste Christian selbst bezahlt (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907). Aus der Passagierliste geht hervor, dass die beiden in der zweiten Klasse gereist sind (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907). Die Kosten dafür lagen im Jahr 1907 bei 190 - 210 Mark (Ancestry Information Operations Company, 2007). Nach heutigem Wert würde das einem Betrag von mehr als 1.000 Euro entsprechen - eine hohe Summe für einfache Leute, auf die sicherlich lange gespart werden musste (Matthaei, 2020).
Als nächsten Verwandten aus dem Ursprungsland haben beide Christian’s Vater Matthäus Kemmner, meinen Ur-Urgroßvater angegeben (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907). Spannend sind die äußerlichen Erscheinungen der beiden: Christian war 178 cm groß (Records of the Immigration and Naturalization Service, 1907). Er hatte braune Haare und blaue Augen (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907). Emma hingegen war 168 cm groß und hatte den Angaben zufolge schwarze Haare und Augen (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907). Diesen Angaben entsprechend wurde Emma vermutlich auch als "schwarze Emma" bezeichnet, so hatte mein Opa es ist seiner Jugendzeit gehört.
Nach nur sieben Tagen, am 26. November 1907, erreichen die beiden New York. Der Passagierliste ist zu entnehmen das ihr amerikanisches Ziel Roxborough, ein Stadtteil von Philadelphia in Pennsylvania, war (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907). Laut ihren Angaben lebte dort ein Cousin amens Louis Toperzer (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907). Nach einigen Recherchen konnte ich die Adresse als 4203 Manayunk Avenue, Roxborough entziffern (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907).
Lange habe ich angenommen, dass es sich um einen Cousin von Christian Kemmner handelt, da er als solcher in Christian’s Daten eingetragen wurde. Mittlerweile konnte ich stattdessen die Verbindung von Emma zu Louis finden: Nachdem Emma's Mutter früh gestorben war, wurde sie von ihrer Stiefmutter großgezogen (Evangelische Kirche Forchtenberg, 1875). Die Tochter der Schwester von Emma's Stiefmutter war eine gewisse Regina Auwärter, die nach Amerika ging und einen Louis Toperzer aus Ungarn heiratete. Louis ist also der Mann von Emma's Stief-Cousine. Nach heutigen Verhältnissen würden man vermutlich nicht mehr von einem Cousin sprechen. Dieser Umstand zeigt jedoch, wie Familie früher definiert wurde.
Tickets für die Weiterreise nach Roxborough hatten Christian und Emma bisher nicht. Sie trugen jedoch laut Passagierliste beide einen Geldbetrag von 50 Dollar mit sich. (Records of the Immigration and Naturalization Service,1907)
Ihr Ziel Roxborough ist ein Stadtteil von Philadelphia (Del Collo, 2011), das etwa 130 Kilometer von New York entfernt liegt.
Bei der Einreise in New York verliert sich leider die Spur der beiden, jedoch berichtet mein Opa, Christian gekannt zu haben. Christian lebte und arbeitete in Stuttgart beim Stuttgarter Hofbräu (Kemmner, 2019). Den Angaben zufolge müsste Christian nach seiner Auswanderung in die USA zurück nach Deutschland gekommen sein. Üblich war eine Rückreise ins Heimatland damals sicher nicht, schließlich war die Überfahrt teuer. Aber ausgeschlossen war eine Rückkehr deshalb natürlich nicht.
Christian erzählte meinem Opa von einem Grundstück mit Gartenhäuschen im Remstal, dass er besaß (Kemmner, 2019). Das Remstal liegt nördlich von Unterensingen, nahe dem Ort Backnang, in dem Christian und Emma vor ihrer Auswanderung lebten.
Wie bereits im Eheregister eingetragen, findet sich im Familienregister von Backnang unter der Nr. 12-140 ein Eintrag zu den beiden. Dort ist jedoch vermerkt: Mitte 1910 nach Eningen übergeben (Stadtverwaltung Backnang, 1906). Sowohl in Eningen unter Achalm als auch in Ehningen bei Böblingen findet sich jedoch kein Eintrag der beiden. Stattdessen habe ich online einen Eintrag im Familienregister Eglosheim gefunden, dass mittlerweile zu Ludwigsburg gehört. Leider ist jedoch kein Datum vermerkt.
Im Stuttgarter Adressbuch von 1919 wurde ich ebenfalls fündig: Hier ist ein Christian Kemmner, Metzger, in der zweiten Etage der Hackstraße 69 verzeichnet (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, 1919). Im Jahr 1928 ist Christian dann als Flaschenarbeiter im Adressbuch gelistet (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, 1928) und ab 1934 als Brauereiarbeiter (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, 1934), wie es mein Opa erinnert. Auch ein weiterer Verwandter erinnert sich, dass Christian bei der Brauerei Dinkelacker gearbeitet hat. Ab etwa 1938 zieht er um in die Rotenbergstr. 25 (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, 1938).
Bei einem Besuch im Staatsarchiv Ludwigsburg habe ich dann weitere Informationen gefunden: 1928 hat Christian einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses gestellt. Dieser Antrag befindet sich heute im Staatsarchiv. Auf den Antrag gibt Christian an verheiratet zu sein und in der Hackstraße 69 zu leben. Er gibt an eine mittlere Gestalt zu haben und ein ovales Gesicht. Seine Augen seien grau und sein Haar graugemischt. Seine Staatsangehörigkeit ist Württembergisch und er gibt an, seit etwa acht Jahren in Stuttgart zu leben. Diese Angabe stimmt mit seinem Eintrag im Adressbuch überein. Mit offiziellem Stempel ist gekennzeichnet, dass Christian seit dem 05.07.1919 in Stuttgart gemeldet ist. (Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, 1928)
Als Nachweis über seine Personalien liegt sein Ausweis von 1923 bei. Auf diesem gibt er seine Augenfarbe noch als blau und seine Haare als braunmeliert an. Am interessantesten ist jedoch sein Foto und seine Unterschrift. (Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, 1928)
Über das spätere Leben von Christian und Emma ist nicht viel bekannt. Die beiden lebten jedoch den Rest ihres Lebens in der Rotenbergstraße 25 (Stadtarchiv Stuttgart, 1958; 1961). In der Nacht auf den 20. Juli 1958 starb Christian mit 83 Jahren zuhause in seiner Wohnung (Stadtarchiv Stuttgart, 1958). Emma lebt noch ein paar Jahre in der gemeinsamen Wohnung und folgt dann ihrem Mann am 19. November 1961 in den Tod (Stadtarchiv Stuttgart, 1961).
Die verwendeten Quellen sind in folgendem Quellenverzeichnis aufgelistet:
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