Johann Evangelist Schaal wurde am 30. Dezember 1868 um halb zwei morgens in Oberreit bei Rosenheim in Oberbayern geboren (Feldkirchen-Westerham, 1983). Johann war das elfte von zwölf Kindern seiner Eltern Anton Schaal und Therese Glockner. (Feldkirchen-Westerham, 1983). Der Vater war Binder (Feldkirchen-Westerham, 1983), Ackermann und Bierbrauer (Landeshauptstadt München, 1891).
Johann wurde nur wenige Stunden später, um halb neun morgens in der Pfarrei Feldkirchen getauft (Feldkirchen-Westerham, 1983). Zur Pfarrei Feldkirchen gehörten damals sowohl die St. Laurentius Kirche in Feldkirchen sowie die Wallfahrtskirche Mariä Opferung in Oberreit (Seitz & Höfling, 1976). Da die Eltern Anton und Therese Schaal auch als Mesner in Oberreit tätig waren (Loose, 1994), könnte auch die Taufe dort abgehalten worden sein.
Seine Taufpaten waren Josef Schußmann und dessen Ehefrau Anna (Feldkirchen-Westerham, 1983). Ob Johann wohl mit einem von beiden verwand war? Vielleicht waren es auch Freunde oder Bekannte seiner Eltern?
Der Ort Oberreit bestand zu dieser Zeit aus nur 6 Häusern mit etwa 34 Einwohnern und einer Kirche (Xylander, 1862). Heute ist Oberreit ein Ortsteil der Gemeinde Feldkirchen-Westerham. Durch Feldkirchen führte früher ein alter Handelsweg, eine sogenannte Salzstraße, sowie die Poststraße von dessen Handel die lokale Wirtschaft profitierte (Feldkirchen-Westerham, 2020; Xylander, 1862).
Johann war keine zwei Jahre alt, als das Haus der Familie, vermutlich durch mit Streichhölzern spielende Kinder, komplett abbrannte: „Am 25. ds. Monats [Oktober 1870] Vormittags 10 Uhr brach im Wohnhause des Binders Anton Schal von Oberreith, Gem. Feldkirchen, währen die Bewohner bei einem Trauergottesdienste in der Kirche wahren, Feuer aus, welches das ganze Gebäude samt Inventar und allen Getreide- und Futter-Vorräthen in kurzer Zeit verzehrte. Auch gingen 500 fl. in Geld und ein Ochse in den Flammen zugrunde. […] Schaden beiläufig 3000 fl. [Gulden] Versicherung 150 fl. [Gulden]“ (Rosenheimer Anzeiger, 1870)
Über Johann’s Kindheit und seine Geschwister ist mir ansonsten nicht viel bekannt. Ziemlich sicher hatte der Ort selbst keine Schule, sodass die Kinder täglich in den größeren Ort Feldkirchen gehen mussten. Aus einem weiteren Zeitungsartikel geht hervor, dass die Familie um 1890 einen als bissig bekannten Hund besaß (Der Wendelstein, 1890).
Ich plane Oberbayern baldmöglichst zu besuchen und mehr heraus zu finden.
Johann erlernte den Beruf des Binders bzw. Küfers, also das Fassbinden (Landeshauptstadt München, 1891; Stadtarchiv Speyer, 1914a). Bis heute befindet sich ein Hölzerner Bierkrug in Familienbesitz, den mein Ururgroßvater Johann selbst hergestellt haben soll. Die Messingbeschläge scheinen, auch aufgrund der Gussnaht, nicht besonders hochwertig zu sein. Es könnte sich daher um sein Gesellenstück handeln, dessen Fokus auf der Qualität des gebundenen Holzes liegt. Die Beschläge wurden dann sicherlich einfach dazu gekauft.
In nachfolgendem Video von 1993 über den 85-jährigen Binder Johann Kästner aus Südtirol kann man sich einen guten Überblick über das Handwerk verschaffen.
Im April 1890, Johann war mittlerweile 21 Jahre alt, scheinen er und sein Bruder Anton in der Nachbargemeinde Vagen in der Schäffler’sche Gastwirtschaft etwas trinken gewesen zu sein. Auch heute noch gibt es einen Gasthof Schäffler in Vagen, allerdings ist nicht ganz klar, ob es sich um denselben handelt. Dort sind Johann und Anton „mißhandelt [worden], dass sie infolge der erlittenen Faustschläge und Hiebe mit Stöcken und einem Maßkruge mehrere Tage arbeitsunfähig waren.“ (Der Wendelstein, 1891).
Wie genau und aus welchem Grund sich dieser Streit entwickelt hat, ist leider nicht übermittelt. Die Angeklagten haben jedoch alle Berufung eingelegt. (Der Wendelstein, 1891).
Die nächste Spur von Johann findet sich in Speyer, im heutigen Rheinland-Pfalz. Speyer entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einer Hochburg des Brauwesens und war einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der Stadt. Um das Jahr 1890 bestanden in Speyer 20 Brauereien (Wikipedia, 2021a). Da Speyer zu dieser Zeit zum Königreich Bayern gehörte und die Reise dorthin vermutlich einfacher war als in andere Regionen, entschied sich Johann wohl dorthin zu gehen. Vielleicht war Speyer auch Teil seiner Wanderschaft als Geselle?
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Reise mit der Eisenbahn keine Seltenheit mehr. Über die Haltestelle Westerham war Oberreit ab 1857 hervorragend angebunden (Feldkirchen-Westerham, 2020). Ab 1871 gehörte das Königreich Bayern mit Preussen, Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt zum Deutschen Reich. Ein Pass oder Visum war für Bundesangehörige für die Reise nicht mehr nötig. (Wikipedia, 2020b).
Ab dem 1. Oktober 1890 arbeitete Johann gemeinsam mit seinem Bruder Lorenz, der ebenfalls Küfer war, als Arbeiter oder Angestellter in Speyer (Stadtarchiv Speyer, 1914a). Beide waren beim ortsansässigen Küfer Karl Gulde in der Roßmarktstraße 4 angestellt (Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, 1894; Stadtarchiv Speyer, 1914a)
Etwa einen Monat später fing ein weiterer Bruder, Rupert Schaal, ebenfalls als Küfer bei Karl Gulde an zu arbeiten (Stadtarchiv Speyer, 1914b).
Rupert arbeitete nur bis zum 15. November 1890 bei Küfer Gulde (Stadtarchiv Speyer, 1914b) Lorenz blieb dort bis zum 4. April 1891 und Johann arbeitete am längsten dort, nämlich bis zum 13. Juni 1891 (Stadtarchiv Speyer, 1914a)
Während seiner Zeit in Speyer lernte Johann wohl seine Frau Anna Katharina Schmidt kennen, die in der Gegend aufgewachsen ist.
Anna Katharina Schmidt wurde am 5. März 1866 in Freimersheim in der Pfalz, nahe Speyer geboren und war somit fast zwei Jahre älter als Johann. Ihre Eltern waren der Maurer Friedrich Schmidt und dessen Frau Margaretha Steiger. Mit elf Tagen wurde sie am 16. März 1866 im Pfarrhaus getauft. Anna Katharina’s Taufpaten waren Katharina Riehen, Tochter einer Katharina Schmidt, die vermutlich mit dem Familienvater verwandt war, sowie der Vater des Täuflings. (Zentralarchiv der Evang. Kirche Pfalz, 1885)
Anna Katharina war die fünfte Tochter und das jüngste von neun Kindern der Familie. Ihre Mutter Margaretha war bei der Geburt ihrer Tochter bereits 42 Jahre alt.
Ihr Geburtsort Freimersheim ist ein beschauliches Dorf in der Südpfalz nahe Speyer, das zur Zeit von Anna Katharinas Geburt etwa 630 Einwohner zählte (Salm, o. J.).
Leider war Anna Katharina erst fünf Jahre alt, als ihr Vater Friedrich Schmidt im September 1873 mit 56 Jahren starb.
Die Zeit muss schwer gewesen sein für die Familie. Anna Katharinas Mutter Margaretha musste sich nun nicht nur alleine um die Familie kümmern, sondern diese auch versorgen. Ein schweres Unterfangen, wenn das jüngste Kind gerade erst fünf Jahre alt ist. Sicherlich hat auch Anna Katharina nun deutlich mehr in Haushalt helfen müssen.
Wie die Familie diese Zeit wohl überstanden hat?
Mit 13 Jahren wurde Anna Katharina mit acht weiteren Kindern in Freimersheim am Palmsonntag 1879 konfirmiert (Zentralarchiv der Evang. Kirche Pfalz, 1887).
Irgendwann zwischen 1879 und 1891 muss die Familie nach Speyer gezogen sein (Landeshauptstadt München, 1891). Nachdem der Vater verstorben war, gab es dort für die verwitwete Mutter von Anna Katharina bestimmt bessere Arbeitsmöglichkeiten. Im Adressbuch von Speyer ist sie leider nicht eindeutig zu finden (Speyer a. Rhein, 1892), in der Heiratsurkunde ihrer Tochter 1891 wird Speyer jedoch als ihr Wohnort eingetragen (Landeshauptstadt München, 1891).
So haben sich Anna Katharina und Johann Evangelist sicherlich in Speyer kennen und lieben gelernt. Wie und wo sich die beiden wohl genau kennengelernt haben?
Johann war jedenfalls katholisch (Feldkirchen-Westerham, 1983). Anna Katharina hingegen evangelisch (Zentralarchiv der Evang. Kirche Pfalz, 1885). Da solche interkonfesionellen Ehe zu frühen Zeiten nicht besonders üblich waren, kann man davon ausgehen, dass Johann und Anna Katharina aus Liebe geheiratet haben.
Meine Tante konnte sich an eine Familiengeschichte erinnern: Johann stellte seinen Eltern seine zukünftige Frau vor. Dabei sollte Anna Katherina nicht sagen, dass sie evangelisch war. Beim Tischgebete faltete sie jedoch, wie die Protestanten es machen, ihre Hände, während seine Familie die Handflächen nur aneinander legten - die katholische Variante. Das ist Johanns Mutter wohl aufgefallen und hat ihre Schwiegertochter zur Seite genommen und darauf angesprochen. Johanns Mutter scheint jedoch recht modern gewesen zu sein und hatte nichts dagegen. (Kemmner, 2021)
Interessant ist, dass die Ehepaare dieses Zweiges meiner Vorfahren häufig unterschiedlichen Konfessionen zugehörten. Auch Anna Katharinas Großeltern, die Eltern ihres Vaters Friedrich Schmidt, die 1810 heirateten, gehörten unterschiedlichen Konfessionen an (Zentralarchiv der Evang. Kirche Pfalz, 1839). Und auch ihre katholisch erzogene Tochter, meine Urgroßmutter, heiratete später meinen evangelischen Urgroßvater.
Die beiden waren körperlich recht unterschiedlich. Johann war groß und breit gebaut. Anna Katharina hingegen eher zierlich und klein. Dies wird besonders auf dem Foto deutlich, für das sich Johann hingesetzt hat und sie steht - trotzdem erscheinen sie etwa gleich groß.
Warum und wann genau die beiden in Mainz waren, wo das Foto im Studio des Fotografen Ranzenberger entstanden ist, ist nicht bekannt.
Der Hochzeit stand also nichts im Wege: Am 24. Dezember 1891 heirateten Johann und Anna Katharina in München (Landeshauptstadt München, 1891). Sie waren im Verlauf des Jahres in die Adlzreiterstraße 14a in München gezogen (Landeshauptstadt München, 1891). Vermutlich hatte Johann eine neue Stelle als Küfer dort gefunden. Die Reise wird das junge Paar wieder mit der Eisenbahn unternommen haben.
Am 30. Mai 1892 wurde die erste Tochter Anna Maria Schaal, meine Urgroßmutter, morgens um acht Uhr geboren (Landeshauptstadt München, 1892). Zwei Wochen später meldete Anna Katharina ihre Tochter beim Standesamt in München an (Landeshauptstadt München, 1892). Vermutlich musste Johann arbeiten.
Zwischen 1892 und 1895 zog die kleine Familie in die Parkstraße 1 (Landeshauptstadt München, 1895), ganz in der Nähe der Theresienwiese, wo auch damals schon das alljährliche Oktoberfest ausgetragen wurde.
Am 8. Juli 1895 wurde die zweite Tochter Therese um ein Uhr nachts geboren und einige Tage später von Johann beim Standesamt angemeldet (Landeshauptstadt München, 1895).
Johann arbeitete als Küfer bzw. Schäffler in München (Landeshauptstadt München, 1895), bis die Familie 1896 nach Mannheim zog. Von den vielen Brauereien, die es kurz vor der Jahrhundertwende in München gab, haben zwei 1896 geschlossen (Wikipedia, 2021b).
Während eine davon im Norden Münchens ansässig war, befand sich die Colosseum Brauerei im Glockenbachviertel, nahe dem Wohnort der Familie (Wikipedia, 2021b; Wikipedia, 2021c). Es wäre also möglich, dass Johann bei dieser bekannten Brauerei mit angrenzendem Tanzlokal angestellt war.
Eventuell hat Johann, mit oder ohne seine Frau, zu seiner Zeit in München auch das nahe Oktoberfest besucht. Quellen gibt es dafür leider nicht. Aber möglich ist es…
Im Sommer 1896 zog die Familie zurück in Richtung Anna Katharinas Heimat, ins über 300 km entfernte Mannheim (Stadtarchiv Mannheim, 1896). Dort meldete Johann seine Familie am 6. September offiziell an (Stadtarchiv Mannheim, 1896). Als Arbeitgeber nannte er dabei den Durlacher Hof in der Neckerstadt-Ost. (Stadtarchiv Mannheim, 1896).
Die Adresse der Familie lautete II. Querstraße 22 in Mannheim (Stadtarchiv Mannheim, 1896). Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass die Straßen der Neckarstadt-West zu Beginn als Zehntstraße (10. Querstraße) oder Elfenstraße (11. Querstraße) nummeriert wurden. Die Gegend würde gut passen, da sich die Brauerei Durlacher Hof in der Käfertalerstraße 168-170 (Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte,1881), ganz in der Nähe befunden hat. Sollte sich auch die II. Querstraße damals in der Neckarstadt-West befunden habe, handelte es sich vermutlich um die heutige Laurentiusstraße (Marchivum, o. J.)
Am 22. Juli 1896 hatte Johann seine Beschäftigung als Küfer im Durlacher Hof begonnen (Stadtarchiv Mannheim, 1896).
Die Stadt Mannheim (o. J.) schreibt über die alten Brauereien in der Neckarstadt: „Im Zeitalter der Industrialisierung machen technische Neuerungen wie der Einsatz von Kältemaschinen die Umwandlung der althergebrachten eher kleinen Gasthaus- Brauereien zu hochmodernen Großbetrieben möglich. Aber nur wenige können mit- halten – von den über 75 Brauereien, die es von der Mitte des 18. Jahrhunderts an in Mannheim gibt, überleben bis 1900 weniger als ein Dutzend den durch die Modernisierung ausgelösten Konzentrationsprozess. Dazu gehör[te] (…) [auch] die Brauerei Durlacher Hof in P 5. (…) [Diese und zwei weitere Brauereien] verwenden das Gelände ihrer seit den 1840er Jahren genutzten Sommerbierkeller an der Käfertaler Straße zur Expansion und verlegen in den 1880er Jahren auch die Firmensitze aus den Quadraten in das noch weitgehend unbebaute Gebiet jenseits des Neckars. Im 20. Jahrhundert bewirken Firmenfusionen, aber auch Inflation, Krieg und Konjunktureinbrüche ein weiteres Brauereisterben, das in Mannheim letztlich nur die Eichbaum-Brauerei übersteht.“
Die Neckarstadt-West scheint der Familie gefallen zu haben. Von der II. Querstraße 22 zog die Familie in die Mittelstraße 11 (Stadtarchiv Mannheim, 1900) und dann weiter in die Alphornstraße 1 (Marchivum, 1905). Obwohl der Stadtteil heutzutage als problematisch gilt, war er gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Neubaugebiet in dem viele Gärtner, Gewerbetreibende und Handwerker lebten. (Wikipedia, 2020a)
Fast auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Geburt der zweiten Tochter Therese, kam am 4. Juli 1905 um halb zwölf vormittags die jüngste Tochter Johanna zur Welt (Marchivum, 1905).
In der Familie war Johann eigentlich nur als Wirt, und nicht als Küfer bekannt. Er soll eine Wirtschaft in der Pfalz betrieben haben. Zwar konnte ich dazu bisher keine Details herausfinden, seine Todesurkunde bestätigt jedoch, dass er als Wirt tätig war. (Stadtarchiv Ludwigshafen am Rhein, 1909).
Leider stirbt Johann bereits mit 40 Jahren im Städtischen Krankenhaus in Ludwigshafen (Stadtarchiv Ludwigshafen am Rhein, 1909), der Schwesterstadt von Mannheim. Seine Kinder waren zu diesem Zeitpunkt 16, 13 und drei Jahre alt.
Als Wohnadresse ist die Bismarckstraße 1 in Ludwigshafen angegeben (Stadtarchiv Ludwigshafen am Rhein, 1909). Die Zeit muss für die Familie schwer gewesen sein: Anna Katharina musste ihre drei Töchter nun eigenständig versorgen.
Das Wohnhaus in der Bismarckstraße 1 existiert heute nicht mehr. Dort ist nun ein großer Platz, der Berliner Platz, zu finden. Früher war die Adresse eine wohl schicke Einkaufsstraße, heute ist daraus eine eher runtergekommene Geschäftsstraße geworden. Die beiden Bilder geben jedoch einen schönen Eindruck, wie es dort damals ausgesehen haben soll.
Fragen wirft die Todesurkunde von Johann insofern auf, dass seine Eltern als unbekannt vermerkt sind. Diese Informationen muss Anna Katharina ans Standesamt gegeben haben. Da jedoch aus Familienschichten bekannt ist, dass Anna Katharina ihre Schwiegereltern kannte, gehe ich davon aus, dass sie zum Zeitpunkt von Johanns Tod einfach zu aufgewühlt war. Auch ist es möglich, dass Johanns Eltern bereits längere Zeit verstorben waren, sodass ihr die Namen nicht mehr präsent waren.
Nachdem Johann verstorben war, zog die vierköpfige Familie zurück nach Speyer, in dessen Umkreis Anna Katharina aufgewachsen war. In der folgenden Karten sind alle Wohn- und Arbeitsorte des Ehepaares eingetragen.
Speyer hatte zu dieser Zeit etwa 23.000 Einwohnern (Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, 1911). In Speyer ist Anna Katharina 1911 im Adressbuch als Johann Schaals Witwe in der Roßmarktstraße 34 gelistet. (Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, 1911; Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, 1914)
Die Roßmarktstraße liegt nahe des Altpörtels und lässt sich noch heute besuchen. Heute ist im Haus ein Teeladen angesiedelt. Was wohl damals im Erdgeschoss anzufinden war?
Ab dem 1. September 1910 leitete die älteste Tochter Anna Maria einen Kolonialwarenladen in Speyer (Stadtarchiv Speyer, 1911) und stellte ihre Mutter Anna Katharina as Verkäuferin ein. Anna Katharina bekam aufgrund des frühen Tod ihres Mannes nur eine geringe Rente und arbeitete daher mit. Die Tochter Anna Maria wird als Filialleiterin der Speyrer Filiale des Kolonial- und Spezereiwarenladens von Johann Schreiber in der Korngasse 17 gelistet (Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, 1914). Sie bleib in diesem Beruf vermutlich bis zu ihrer Hochzeit 1920.
Das Foto des Stadtarchivs Speyer zeigt einen Ausschnitt zwischen Johannesstraße und Korngasse vor 1912.
Im Jahr 1913 entschied sich die zweite Tochter Therese mit gerade 18 Jahren nach Amerika auszuwandern (Records of the Immigration and Naturalization Service, 1913). In der Familie wurde erzählt, dass „Resel“, wie sie liebevoll genannt wurde, mit einer Freundin und deren Familie in die USA ausgewandert sein soll. Sie soll zunächst bei Quäkern untergekommen sein. Anna Katharina war gegen die Auswanderung ihrer Tochter und hoffte, dass sie bei den Quäkern wenigstens in guter Obhut war. Bei meinen Recherchen hat sich aber gezeigt, dass Therese vermutlich alleine ausgewandert war. Wie sie das anstellte und was aus ihr wurde kann in ihrer Lebensgeschichte nachgelesen werden.
Ab 1914 wohnte die Familie in der Korngasse 16, direkt neben dem Kolonialwarenladen (Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, 1914)
Das Foto zeigt das Wohnhaus in der Korngasse 16 sowie den damaligen Kolonial- und Spezereiwarenladens von Johann Schreiber in der Korngasse 17, direkt nebenan.
Anna Katharina sah ihre Tochter Therese vermutlich nie wieder. Zwar erhielt sie Postkarten und Briefe, aber es scheint, als sei Therese nie wieder zurück gekommen.
1920 heiratete ihre älteste Tochter Anna Maria und gibt zu diesem Zeitpunkt ihre Stelle als Filialleiterin des Spezereifachgeschäftes auf und zieht mit ihrem Mann nach Stuttgart-Obertürkheim (Stadtarchiv Speyer, 1920). Im Adressbuch von Speyer wird 1921 Anna Katharina als Filialleiterin genannt (Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, 1921). Sie scheint die Position ihrer Tochter übernommen zu haben, kannte sich ja auch nach so vielen Jahren der Arbeit dort gut aus und wurde auch als resolute Frau beschrieben (Kemmner, 2021).
Ein Jahr später, im Sommer 1921 zieht auch die jüngste Tochter Johanna nach Stuttgart-Obertürkheim (Stadtarchiv Speyer, 1921).
Im Zuge der deutschen Inflation nach dem 1. Weltkrieg, verlor das Geld immer mehr an Wert. Die Mark war im Oktober 1921 nur noch ein Hundertstel, im Oktober 1922 nur noch ein Tausendstel von ihrem Wert in Jahr 1914 wert. Anna Katharina verstand jedoch nicht, was während der Geldentwertung passierte. Während die Bevölkerung versuchte, alles Geld in wertbeständige Sachgegenstände einzutauschen, verkaufte Anna Katharina ihren gesamten Hausstand. Vermutlich hatte sie nicht verstanden, dass das Geld nichts mehr Wert war und war von den hohen Geldbeträgen fasziniert.
Im August 1922 zieht daher auch Anna Katharina zu ihren beiden Töchtern nach Obertürkheim in die Uhlbacher Straße 84 (Stadtarchiv Speyer, 1922).
Etwa zehn Jahre nach der Abreise ihrer Tochter Therese nach New York, siedelte auch die jüngste Tochter Johanna 1925 in die USA über. Jedoch wird sie während ihres Lebens immer wieder zu Besuch nach Deutschland kommen.
Was genau Anna Katharina während ihrer Zeit in Stuttgart erlebte, ist mir nicht bekannt. Sie soll sich gerne in einen Sessel im Erker der Wohnung gesetzt haben um das Treiben auf der Straße zu beobachten. Wenn sie Frauen beobachtete, die einen Plausch hielten, sagte sie wohl gerne: „Bringt doch denen mal einen Stuhl runter!“ (Kemmner, 2021)
Sie scheint auch gerne Kaffee getrunken zu haben, den ihre Enkelin Sigrid (meine Oma) ihr in schlechten Zeiten auch schonmal auf dem Schwarzmarkt besorgt hat (Kemmner, 2021).
Eine Nachbarin in Obertürkheim, die sogenannte Tante Weiß, eine enge Freundin der Familie, verstand sich auch prächtig mit Anna Katharina. Meine Oma Sigrid erinnerte sich wohl daran, dass die beiden Damen - ihre Großmutter Anna Katharina und Tante Weiß - sie als kleines Kind ab und zu zum Spielen in eine Hutschachtel setzten.
Am 10. März 1958 ist Anna Katharina mit 92 Jahren in Stuttgart - Bad Cannstadt verstorben (Kemmner, 2021). Sie hat ihren Mann Johann fast 50 Jahre überlebt.
Da die Hochzeit ihrer Enkelin Sigrid für Ende März geplant war, überlegte das Hochzeitspaar nun, ob die Hochzeit eventuell verschoben werden solle. Doch da sich Anna Katharina so sehr auf die Hochzeit gefreut hatte, sagte sogar der Pfarrer, dass der Heirat nichts im Wege stehe.
Die verwendeten Quellen sind in folgendem Quellenverzeichnis aufgelistet:
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