Die Schwester meiner Urgroßmutter war Luise Caroline Kemmner. Sie war außerdem die Patentante meines Opas. Mein Opa nannte sie im schwäbischen „Dote“. Caroline war die jüngste Tochter von Christiane Luise und Christian Kemmner. Sie hatte fünf ältere Brüder und zwei ältere Schwestern. Über einige von ihnen habe ich schon berichtet. Aus dem späteren Heiratsregister geht hervor, dass ihr Rufname Caroline war (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985), sie schrieb sich selbst später im Leben mit K als Karoline.
Karoline wurde am Montag, den 26. Oktober 1891 abends um 8 Uhr geboren. Im Unterensinger Taufregister werden ihre Eltern folgendermaßen beschrieben: „Christian Kemmner, Bauer, Daniel’s Sohn und Christiane Luise geb. Gähr, beide evangelischer Religion“. Die Taufe hat vier Tage später, am Freitag, den 30. Oktober 1891 Pfarrer Hartmann gehalten. Karoline’s Taufpaten waren Urban Kottler und Anna Maria Gähr (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985).
Anna Maria, die auch als Jacob's Ehefrau beschrieben wird, ist Karoline's Oma. Über Urban Kottler konnte ich zwischenzeitlich herausfinden, dass es sich um den Mann von Barbara Kottler handelt. Barbara war die Halbschwester von Karolines's Vater Christian.
Als Karoline 18 Jahre alt war, starb ihre ältere Schwester, als sie 21 Jahre alt war dann ihr Vater. Das muss für sie eine schwere Zeit gewesen sein. Trotzdem oder gerade deswegen heiratete sie nur drei Monate nach dem Tod des Vaters ihren Mann Hermann Johannes Kemmner (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985).
Hermann Johannes Kemmner war einer von fünf Kindern von Jakob Kemmner, Bauer und Maria Magdalena Melchinger. In der Familienbibel seiner Eltern ist vermerkt: "den 19. Mai 1886 ist der Hermann Johannes geboren. Der liebe Gott wolle ihn gesund erhalten und begleiten bis in den Tod. Bleibe fromm und halte Dich recht, denn solchen wird es zuletzt wohl gehen“ (Quelle).
Hermann wurde an einem Mittwoch, den 19. Mai 1886 morgens um 8 Uhr geboren und am 23. Mai nachmittags um 13 Uhr getauft. Auch Hermann wurde von Pfarrer Hartmann getauft. Hermann’s Taufpaten waren Johannes Binkelmann von Öthlingen, der Schwager von Hermann’s Vater sowie Friederike Melchinger, Ehefrau von Gottlieb. Leider weiß ich nicht, wer diese Friederike ist. (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985)
Die Proklamation der Ehe, die der Ankündigung diente und der Gemeinschaft die Möglichkeit geben sollte, Gründe gegen die Ehe vorzubringen, wurde am 27. September und am 23. November verkündet (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985). Die Zeremonie fand dann am 27. November 1913 um halb zwölf statt und wurde von Pfarrer Wacker durchgeführt (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985), der von 1902 bis 1927 Pfarrer der Gemeinde Unterensingen war (Quelle). Karoline war gerade 22 Jahre, Hermann war 27 Jahre alt.
Nur ein halbes Jahr nach der Hochzeit der beiden, begann der erste Weltkrieg. Ob Hermann eingezogen wurde, ist nicht bekannt. Zwar findet sich ein schwer verletzter Hermann in den Verlustlisten den ersten Weltkriegs, jedoch gibt es keinen Anhaltspunkt, dass es sich um diesen Hermann handelt. Im Adressbuch des Jahres 1925 wird neben dem hier beschriebenen Hermann ein weiterer Hermann als Kriegsinvalide gelistet, zu dem die Verwundung besser passt. Ich gehe also davon aus, dass Karoline's Mann entweder nicht eingezogen wurde oder zumindest keine großen Verletzungen vom Krieg trug. Vielleicht hatte er sogar Glück und sein Arbeitgeber konnte ihn zur Aufrechterhaltung des Betriebs reklamieren?
Da beide den Nachnamen Kemmner tragen, liegt nahe, dass Karoline und Hermann gemeinsame Vorfahren hatten. Im kleinen Dorf Unterensingen keine Seltenheit, den Nachnamen Kemmner gab es so häufig, dass die Dorfbewohner zusätzlich Hausnamen zur Unterscheidung der vielen Kemmner’s nutzten. Doch der gemeinsame Vorfahre der beiden liegt einige Generation zurück.
In der Eintragung im Kirchenregister ist festgehalten, dass Hermann Schlosser war (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985). Mein Opa berichtete, dass Hermann bei der Firma Eisemann in Stuttgart angestellt war. Laut alten Dokumenten war die Niederlassung der Firma Eisemann in der Rosenbergstraße 61-63 (Quelle).
Die Firma Eisemann wurde in den 1890er Jahren als elektrotechnisches Installationsunternehmen von Ernst Eisemann gegründet und stellte in seinen Anfängen zunächst Phonographen, also Sprechmaschinen, her. Erfolgreicher war das Unternehmen jedoch bei der Herstellung von Magneten und Zündkerzen für die Automobilindustrie. In diesem Bereich soll Eisemann im Jahre 1900 Marktführer gewesen sein. Ende der 1920er Jahre wurde das Unternehmen von Bosch aufgekauft (Quelle). Auch sein Schwager Gottlob Kemmner war bei der Firma angestellt.
Mein Opa erinnert sich, dass Hermann später die Kalkulationen verwaltet hat. Andere Quellen geben an, Hermann war Werkmeister (Quelle). Der Weg zur Arbeit nach Stuttgart dauerte einige Zeit. Hermann musste zunächst mit dem Fahrrad zum Bahnhof in Unterbohingen fahren, von hier nahm er den Zug nach Stuttgart und musste dort noch einmal mit der Straßenbahn bis zu seiner Arbeitsstelle fahren.
Im Nebenerwerb haben Hermann und Karoline Landwirtschaft betrieben. Im Neckartal gab es durch die frühe Industrialisierung viele wohlhabende Fabrikbauern, die neben einem festen Einkommen durch ihre Anstellung kleine Äcker bewirtschafteten und so finanziell recht gut gestellt waren. Auch Karoline und Hermann waren für die damalige Zeit recht wohlhabend. Das lag jedoch auch daran, dass die beiden keine Kindern hatten, die sie ernähren mussten.
Besonders mein Großonkel Richard, der Bruder meines Opas, hat Hermann und Karoline sehr bei den landwirtschaftlichen Aufgaben geholfen. Er war zehn Jahre älter als mein Opa und konnte so bereits gut mit anpacken. Auch mein Opa und sein zwei Jahre älterer Bruder Hermann halfen ihrer Döte und ihrem Mann gerne. Karoline nannte die beiden liebevoll ihre „Knecht’le“. Im Alter betrieben die beiden dann keine Landwirtschaft mehr. Mein Opa bekam von Hermann, als dieser bereits älter war, einen Arbeitsmantel, den er nicht mehr brauchte.
In seinem Buch berichtet mein Opa: „In den Zwangiger Jahren begann das Zeitalter des Rundfunks. 1923 strahlte der Sender Berlin die erste Unterhaltungssendung aus. Ich erinnere mich noch an das erste Radio von unserem Onkel Hermann. Er gehörte mit zu den Ersten im Dorf, die einen Radio-Apparat hatten. Das Empfangsgerät bestand aus einem Detektor mit einer Metallspitze, diese Metallspitze wurde über ein Kristall, das Bleiglanz hieß, bewegt, mit ihm wurden die ankommenden Welle gerichtet. Im Garten befand sich die Antenne, sie bestand aus einer langen Stange und wurde mittels eines Drahtes mit dem Empfangsgerät verbunden. Hören konnte man nur mit Kopfhörern, Lautsprecher gab es noch nicht. Bald darauf ersetzte Onkel Hermann diesen Apparat durch ein Röhrengerät mit Drahtspulen und 2 Kopfhörern. Nun konnten gleichzeitig zwei Personen zuhören. Die Weiterentwicklung verlief stürmisch. Nur kurze Zeit später kaufte er ein neues Radio. Bei diesem Gerät waren die Röhren, Spulen und alle übrigen Teile nicht mehr sichtbar, die Einstellung der auf einer Skala vermerkten Sender erfolgte nun mit Drehknöpfen. Das gerät hatte einen Lautsprecher, somit waren Kopfhörer nicht mehr nötig. Bei neuen Geräten verbesserten sich die Übertragungs- und Tonqualität laufend. In unserem Dorf besaßen aber nur wenige ein Radio“ (Kemmner, Ein Blick zurück: Brot und Salz - Gott erhalt's).
Mein Opa hat seine Döte und ihren Mann sehr gerne und in guter Erinnerung. Er und seine Brüder haben viel und gerne Zeit bei ihnen verbracht. Dort gab es immer leckeres Gsälzbrot, also Marmeladenbrot. Karoline und Hermann wollten meinen Opa Otto sogar als kleinen Jungen aufnehmen, da sie selbst keine Kinder bekommen konnte. Doch meine Urgroßmutter wollte ihren Sohn, meinen Opa, nicht abgeben. Ich denke aber, Karoline hat sich liebevoll um ihre Neffen gekümmert. Sie halfen meinem Opa auch bei der Suche nach einer Lehrstelle. Auch mein Papa erinnert sich noch an seine Großtante Karoline, die er gerne besuchte. Meine Tante, die zwei Jahre jünger ist als mein Papa, fand es bei Karoline und Hermann immer etwas langweilig, aber der Besuch war Pflicht, wenn man in Unterensingen war. Sie soll einen traumhaft leckeren Hefezopf mit eingebackenen Mandelsplittern gebacken haben. Mit elf Jahren hat mein Papa davon 21 Scheiben vertilgen können, sein persönlicher Rekord. Meine Tante hat allerdings erzählt, dass Karoline die Scheiben immer sehr dünn geschnitten hat.
Hermann und Karoline wohnten in der Esslingen Str. 6, direkt neben dem Gasthaus Löwen (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985). Aus diesem Grund wurde er auch als „Hermann Kemmner beim Löwen“ bezeichnet (Quelle). Im Adressbuch von 1925 ist Hermann Kemmner als Schlosser am Löwen 88 verzeichnet. Ich gehe davon aus, dass es sich um das gleiche Wohnhaus handelt, da zwischendrin die Straßennamen geändert wurden.
Seit 1927 war Hermann im Schwäbischen Albverein. Im Jahr 1947 gründete sich der Unterensinger Ortsverein mit dreizehn ortsansässigen Mitgliedern. Gemeinsam wanderte die Gruppe als erstes ins Lenninger Tal nach Gutenberg. Auch in den Folgejahren stand eine Wanderung im Jahr auf dem Programm. (Quelle)
Mein Papa erzählt, dass das Haus von Karoline und Hermann ein typisches Bauernhaus war. Unten im Haus befanden sich Stallungen, die jedoch anderweitig verwendet wurden. Auch eine Scheune war ebenerdig zu betreten, die ein beeindruckend großes Scheunentor besaß. Über eine lange steile Treppe gelangte man in die darüberliegende Wohnung mit relativ kleinen Wohnräumen, in der viele Bilder von Karoline's Bruder Gustav hingen. Hinterm Haus befand sich ein großer Garten mit altem Baumbestand und Hühnern. Als kleiner Junge hat mein Papa dort die Hühner mit Körner füttern dürfen. Auch meine Tante erinnert sich, die Hühner mit Gras gefüttert zu haben. Sie hat dort auch häufig einen Eichelhäher beobachtet. Hermann hat ihm dafür eine Schippe gegeben, mit der er die Körner verstreuen konnte. Mein Opa erinnert sich, dass Hermann eine schöne Werkstatt im Garten hatte. Karoline konnte lange Zeit nicht richtig laufen, da sie sich bei einem Fahrradunfall das Knie verletzt hatte. Ihr Ehemann Hermann hatte ihr daher eine Kiste aus Holz gebaut. Im Inneren befanden sich Wärmelampen. Die Kiste hatte an zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils ein Loch, durch die Karoline ihr Bein zur Heilung stecken konnte.
Leider sind Karoline und Hermann kinderlos verstorben.
Hermann starb am 21. Dezember 1972 um 19.15 Uhr in Stuttgart- Bad Cannstadt. Am zweiten Weihnachtsfeiertag, Dienstag, den 26. Dezember wurde er um 14 Uhr in Unterensingen beerdigt. Die Beerdigung hielt Pfarrer Poguntke aus Zizishausen. Sein Segen lautete: „Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jes. 43,1). Hermann wird als verheirateter Rentner, evangelischer Religion aus Unterensingen beschrieben. (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985)
Karoline starb etwa vier Jahre später, am 23. April 1977 und wurde am 27. April um 14 Uhr von Pfarrer Stolz beerdigt. Im Sterberegister ist vermerkt, dass der Frauenchor sang und im Gemeindehaus Abschied genommen wurde. Ihr Segen lautete: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“ (Joh. 10, 27-28). (Württemberg, Germany, Lutheran Baptisms, Marriages, and Burials, 1500–1985)
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